Sachsen-Anhalt

Rechtliche Unsicherheiten und neue Kontrollpflichten Cannabis-Legalisierung in Sachsen-Anhalt: Warum Polizei und Justiz keine Entlastung spüren

Magdeburg – Rund ein Jahr nach Inkrafttreten der Cannabis-Teillegalisierung zeigt sich in Sachsen-Anhalt Ernüchterung. Polizei und Justiz, die sich von der Reform weniger Arbeit und effizientere Abläufe versprachen, sehen bislang keine spürbare Entlastung. Im Gegenteil: Zusätzliche Prüfungen, rechtliche Unsicherheiten und neue Kontrollpflichten belasten die Behörden stärker als zuvor.

Ein Jahr nach der Cannabis-Freigabe: Ernüchternde Bilanz in Sachsen-Anhalt

Seit dem 1. April 2024 dürfen Erwachsene in Deutschland bis zu 50 Gramm Cannabis im privaten Bereich besitzen und maximal drei Pflanzen anbauen. Ziel der Reform war es, Polizei und Justiz zu entlasten und die Ressourcen auf schwerwiegendere Delikte zu konzentrieren. Doch in Sachsen-Anhalt zeigt sich: Die Erwartungen wurden bislang nicht erfüllt. Statt einer Entlastung sprechen Fachleute und Behörden von einem deutlichen Mehraufwand.

Nach Angaben des Landesjustizministeriums mussten allein im Jahr 2024 mehr als 5.000 Altverfahren überprüft werden. Hintergrund ist die sogenannte Amnestieklausel im neuen Konsumcannabisgesetz (KCanG), die vorsieht, dass Verurteilungen wegen Handlungen, die heute nicht mehr strafbar sind, aufgehoben oder angepasst werden müssen. Diese arbeitsintensive Aufgabe bindet Personal in Gerichten und Staatsanwaltschaften, das ursprünglich für andere Aufgaben vorgesehen war.

Wie stark wurde Polizei und Justiz tatsächlich entlastet?

Die Antwort fällt ernüchternd aus: Nach Einschätzung der Landespolizei und der Staatsanwaltschaften ist kaum eine Entlastung spürbar. Zwar gehen einfache Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zurück, doch gleichzeitig entstehen neue Kontroll- und Prüfpflichten. Auch die Verkehrsüberwachung ist komplexer geworden, da unklar ist, welcher THC-Grenzwert rechtlich gilt und wie der Nachweis in der Praxis erbracht werden soll.

Ein Sprecher der Polizei Sachsen-Anhalt fasst die Situation so zusammen: „Wir haben weniger kleine Cannabisdelikte, aber dafür mehr Arbeit an anderer Stelle. Der Aufwand hat sich nur verlagert – nicht verringert.“

Neue Pflichten und mehr Bürokratie statt Entlastung

Die Polizei muss seit der Reform zahlreiche neue Aufgaben übernehmen. Dazu gehören Kontrollen in öffentlichen Konsumzonen, Nachwiegepflichten bei sichergestelltem Cannabis und Schulungen im Umgang mit den neuen rechtlichen Grenzen. Laut interner Informationen wurden landesweit über 150 Feinwaagen beschafft, um die Besitzgrenzen genau kontrollieren zu können. Diese Detailprüfungen sind zeitintensiv und erhöhen den administrativen Aufwand erheblich.

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Welche neuen Aufgaben kamen der Polizei durch das Cannabisgesetz hinzu?

  • Kontrolle von Besitzmengen (bis 25 g im öffentlichen Raum, bis 50 g im privaten Bereich)
  • Überwachung von Cannabis Social Clubs und deren Mitgliederdaten
  • Verkehrskontrollen mit Fokus auf THC-Grenzwerte
  • Überprüfung von Anbauvorschriften bei Privatpersonen
  • Aufarbeitung alter BtMG-Verfahren im Zuge der Amnestie-Regelung

Die Polizei-Gewerkschaften wie die DPolG und GdP sehen die Reform daher kritisch. Beide betonen, dass die Erwartung einer deutlichen Entlastung unrealistisch war. „Die Behörden müssen nun doppelt prüfen: Einerseits, ob etwas erlaubt ist, und andererseits, ob alle Bedingungen korrekt eingehalten wurden“, heißt es aus Gewerkschaftskreisen.

Justiz zwischen Altverfahren und rechtlicher Unsicherheit

Auch die Justiz ächzt unter den Folgen der Reform. Viele Urteile aus den vergangenen Jahren müssen neu bewertet oder aufgehoben werden, weil sie sich auf alte Gesetzeslagen beziehen. Der Prozess ist arbeitsintensiv und erfordert in vielen Fällen eine manuelle Einzelfallprüfung. Dadurch verlängern sich Bearbeitungszeiten, und Personal, das für neue Verfahren vorgesehen war, ist gebunden.

Warum führt die Legalisierung nicht automatisch zu weniger Strafverfahren?

Die einfache Logik „Weniger Verbote, weniger Arbeit“ greift in der Realität nicht. Zwar fallen viele Bagatelldelikte weg, doch gleichzeitig entstehen neue Kategorien von Prüfverfahren. Hinzu kommt: Die rechtliche Lage ist in manchen Bereichen weiterhin unklar. Besonders im Straßenverkehr ist nicht abschließend geregelt, ab welchem THC-Wert eine Fahrt als Ordnungswidrigkeit oder Straftat gilt. Bis zur Einführung einheitlicher Grenzwerte bleibt die Bewertung den Gerichten überlassen – und das führt zu Rechtsunsicherheit.

Amnestie-Regelung als Arbeitsfalle

Die Amnestie-Regelung sollte Betroffene entlasten, hat aber in der Praxis die Behörden stark beansprucht. Mehr als 5.000 Fälle mussten in Sachsen-Anhalt neu geprüft werden, bundesweit sogar über 100.000. Jede einzelne Akte erfordert eine juristische Neubewertung und teilweise die Änderung von Strafregistern. Diese Bürokratie hat die erhoffte Entlastung zunächst ins Gegenteil verkehrt.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Dimensionen

Neben den juristischen Aspekten hat die Reform auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Eine Untersuchung des Wirtschaftsdienstes betont, dass mögliche Kosteneinsparungen durch die Legalisierung nicht automatisch realisiert werden. Zwar fallen Ausgaben für Strafverfolgung kleiner Delikte weg, doch der Aufbau neuer Strukturen – von Cannabisclubs über Kontrolleinrichtungen bis hin zu Schulungen – erzeugt neue Kosten.

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Bereich Erwartete Entlastung Tatsächlicher Effekt
Polizei Weniger BtMG-Verfahren Mehr Kontrollen, mehr Bürokratie
Justiz Weniger Verfahren durch Entkriminalisierung Hoher Aufwand durch Amnestie und Neubewertungen
Gesundheitswesen Mehr Prävention statt Strafverfolgung Unklare Zuständigkeiten, höhere Beratungsnachfrage

Studien und wissenschaftliche Perspektiven

Die „Evaluation des Konsumcannabisgesetzes“ der Landesstelle für Suchtfragen Sachsen-Anhalt kommt zu einem klaren Befund: Die erhoffte Entlastung der Behörden ist bisher nicht eingetreten. Der Bericht spricht sogar von „steigenden administrativen Anforderungen“ durch zusätzliche Prüfpflichten und unklare gesetzliche Auslegungen.

Auch das KonCanG-Projekt der Frankfurt University of Applied Sciences liefert interessante Einblicke: 88,4 % der befragten Erwachsenen gaben an, Cannabis inzwischen über legale Wege zu beziehen – vor der Reform waren es nur 23,5 %. Der Schwarzmarkt schrumpft also, aber nicht vollständig. Bei Jugendlichen bleibt er weiterhin relevant, was zusätzliche Kontrollmaßnahmen notwendig macht.

Gibt es Studien, die zeigen, ob der Schwarzmarkt durch Legalisierung schrumpft?

Ja, aber mit Einschränkungen. Der Rückgang ist vor allem bei älteren Konsumentinnen und Konsumenten sichtbar, während jüngere Gruppen weiterhin teils illegale Bezugswege nutzen. Die Forscher betonen, dass die Verlagerung auf legale Quellen Zeit braucht – und von der Qualität und Zugänglichkeit der Anbauvereine abhängt.

Stimmen aus der Praxis: Alltagserfahrungen und Meinungen

In sozialen Medien wie Reddit und Twitter äußern sich Polizeibeamte, Justizangestellte und Bürger offen zu ihren Erfahrungen. Viele berichten von Verwirrung über die neuen Regelungen. Ein Nutzer schreibt in einem Polizei-Forum: „Wir kontrollieren mehr, nicht weniger. Das Wiegen, Prüfen und Dokumentieren kostet enorm viel Zeit.“ Andere Stimmen loben die Entkriminalisierung, beklagen aber unzureichende Umsetzung und fehlende technische Hilfsmittel – etwa mobile THC-Schnelltests.

Wie reagieren Polizei-Gewerkschaften auf die Teillegalisierung?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußern sich einhellig: Eine Entlastung sei nicht in Sicht. Die Zahl der Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis sei zwar gesunken, doch die Anzahl der Kontrollen und die Anforderungen an Dokumentation und Nachweisführung seien erheblich gestiegen. Die GdP fordert daher eine Nachbesserung des Gesetzes und klare Regelungen insbesondere für den Straßenverkehr.

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Gesellschaftliche Erwartungen vs. Realität

Politisch wurde die Cannabis-Legalisierung als Schritt hin zu einer modernen Drogenpolitik verkauft. Doch die Realität zeigt, dass zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und behördlicher Praxis eine große Lücke klafft. Während viele Bürgerinnen und Bürger von weniger Repression profitieren, bleiben Polizei und Justiz in einem administrativen Labyrinth gefangen.

Eine Studie des Wirtschaftsdienstes fasst das Dilemma treffend zusammen: „Einsparungen und Effizienzgewinne sind möglich, aber nicht automatisch. Sie hängen von klaren Zuständigkeiten, angepassten Strukturen und langfristiger Erfahrung ab.“

Langfristige Chancen – aber erst nach Anpassungen

Langfristig könnten die Behörden tatsächlich profitieren, wenn die Prozesse effizienter gestaltet werden. Voraussetzung wäre eine digitale Automatisierung bei Aktenprüfung und Registertilgung, standardisierte THC-Grenzwerte und eine einheitliche Umsetzungspraxis in den Ländern. Erst dann ließe sich das ursprüngliche Ziel – die Entlastung von Polizei und Justiz – wirklich erreichen.

Ausblick: Zwischen Reformbedarf und gesellschaftlichem Wandel

Die Cannabis-Legalisierung in Sachsen-Anhalt steht exemplarisch für den Spagat zwischen politischem Ideal und verwaltungstechnischer Realität. Die Reform hat viele alte Probleme entschärft, zugleich aber neue geschaffen. Polizei und Justiz kämpfen mit Übergangsregeln, Auslegungsspielräumen und organisatorischem Mehraufwand. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass sich die Lage mittelfristig stabilisieren könnte – vorausgesetzt, die gesetzlichen und technischen Rahmenbedingungen werden weiterentwickelt.

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Legalisierung tatsächlich das hält, was sie verspricht: weniger Bürokratie, mehr Prävention und eine moderne, realistische Drogenpolitik. Bis dahin bleibt die Bilanz in Sachsen-Anhalt zwiespältig – zwischen Hoffnung auf langfristige Entlastung und dem momentanen Gefühl, dass alles komplizierter geworden ist.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.