Sachsen-Anhalt

Letzte Überfahrt? Sachsen-Anhalts Fähren drohen unterzugehen

Sie tuckern über Elbe und Saale, verbinden Menschen, Orte und Geschichten. Doch was einst als selbstverständlicher Teil des Alltags galt, steht nun unter massivem Druck: Ohne zusätzliche Finanzmittel könnten zahlreiche Fähren in Sachsen-Anhalt bald für immer anlegen müssen.

Ein jahrhundertealtes Verkehrsmittel am Scheideweg

Fähren gehören in Sachsen-Anhalt zum Landschaftsbild wie die Flüsse selbst. Insgesamt sind es 13 landesbedeutsame Wagenfähren, die täglich Pendler, Schüler, Touristen und Radfahrer über Elbe und Saale bringen. Hinzu kommen weitere kleinere Personenfähren, die besonders für lokale Verbindungen von großer Bedeutung sind. Doch die schleichende Erosion ihrer Wirtschaftlichkeit bedroht das gesamte System.

„Unsere Fähre schreibt seit Jahren rote Zahlen – trotz der Zuschüsse vom Land“, heißt es etwa aus Elbe-Parey im Jerichower Land. Dort wurde der Betrieb einer Fähre aufgrund eines Defizits von fast 100.000 Euro zeitweise ausgesetzt. Diese Maßnahme ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines strukturellen Problems, das sich durch viele Kommunen zieht.

Warum Fähren systemrelevant sind

Mehr als nur Transport: Fähren als Lebensadern

Die Fähren in Sachsen-Anhalt übernehmen Aufgaben, die weit über die reine Personen- oder Fahrzeugbeförderung hinausgehen. Sie verbinden Regionen, die sonst nur über weite Umwege erreichbar wären. Besonders in dünn besiedelten Gebieten, wo Brücken fehlen und Busverbindungen ausgedünnt sind, erfüllen sie eine entscheidende Funktion.

  • Verbindung zu Arbeitsplätzen und Bildungseinrichtungen
  • Erreichbarkeit von medizinischen Einrichtungen
  • Touristische Anbindung (z. B. für Radwege und Wassertourismus)
  • Reduzierung des motorisierten Verkehrsaufkommens

„Für uns ist die Fähre kein Luxus, sondern lebenswichtig“, sagt ein Gemeindevertreter aus dem Landkreis Wittenberg. Auch touristisch sind die Fähren bedeutsam, etwa entlang des Projekts „Blaues Band“, das den Wassertourismus in Ostdeutschland stärkt.

Kennst du das schon?  Suspendierter Ordnungsamtsleiter aus Sachsen-Anhalt kassiert weiter Gehalt

Die finanzielle Realität: Wer zahlt für die Überfahrt?

Förderung vom Land – ein Tropfen auf den heißen Stein?

Die Landesregierung Sachsen-Anhalts unterstützt den Betrieb sogenannter landesbedeutsamer Fähren grundsätzlich freiwillig – mit bis zu 90 % der förderfähigen Kosten. Das betrifft vor allem regelmäßige TÜV-Prüfungen, technische Revisionen oder Instandhaltung. Doch selbst bei maximaler Förderung bleiben Kommunen oft auf fünfstelligen Eigenanteilen sitzen. In Zeiten knapper Kassen ist das kaum tragbar.

Der kommunale Finanzrahmen gibt wenig Spielraum her. Nach aktuellen Daten liegt der Haushaltssaldo der Kommunen bei nur rund 61 € pro Einwohner. Zudem müssen diese Mittel auch für andere wichtige Aufgaben wie Bildung, Digitalisierung oder Klimaanpassung reichen. Die Investitionsstaus in Sachsen-Anhalts Kommunen sind laut KfW-Studie erheblich – eine tragfähige Querfinanzierung der Fähren ist damit kaum möglich.

Strukturelle Belastungen: Der Fluch der Remanenzkosten

Ein oft übersehener Aspekt: Der Bevölkerungsrückgang in vielen Regionen des Landes. Seit 2000 haben einige Gemeinden bis zu 25 % ihrer Bevölkerung verloren. Dennoch müssen sie Infrastruktur wie Fährverbindungen weiter unterhalten. Fixkosten wie Personal, Versicherung oder Wartung bleiben – die Einnahmen schrumpfen. Diese sogenannten Remanenzkosten wirken wie ein Klotz am Bein.

Region Bevölkerungsverlust seit 2000 Anzahl Fähren Defizit (Beispiel)
Jerichower Land –18 % 2 –94.000 €
Elbe-Parey –22 % 1 Betrieb zeitweise eingestellt
Wittenberg –15 % 4 Keine Rücklagen für Revision

Ein ungleicher Kampf: Landespolitik kontra EU-Förderrecht

Im politischen Raum ist das Thema angekommen – aber ungelöst. Zwar gibt es parteiübergreifende Zustimmung zur Bedeutung der Fährverbindungen. Doch Landespolitiker wie Verkehrsminister Thomas Webel warnen vor einem „Zuviel“ an Unterstützung: Eine zu hohe Förderung könnte gegen EU-Beihilferecht verstoßen und Fördermittel blockieren. Auch rechtlich fehlt eine klare Zuständigkeit für den dauerhaften Erhalt der Fähren.

Kennst du das schon?  Nach Angriff auf Frau und Mann fordern Politiker von AfD und CDU harte Konsequenzen

Die Linke forderte bereits 2021 die komplette Übernahme der Revisionskosten durch das Land und eine Beteiligung an den laufenden Betriebskosten. Bisher blieb es bei Appellen.

„Die kommunale Selbstverwaltung ist nicht mit Selbstüberforderung zu verwechseln“, sagte ein Sprecher des Landkreistags bei einer Landtagsanhörung.

Alternativen zur Fähre: Brücken oder Stilllegung?

Einige Kommunen denken bereits über langfristige Alternativen nach. Besonders entlang der Elbe wird die Frage laut, ob es sinnvoller wäre, dauerhaft befahrbare Brücken zu bauen. Doch das ist kostspielig und ökologisch umstritten – ganz abgesehen davon, dass dies in vielen Naturschutzgebieten nicht genehmigungsfähig wäre.

Andere Gemeinden ziehen sich bereits aus der Finanzierung zurück: Stilllegungen und eingeschränkte Fahrzeiten sind die Folge. In sozialen Medien oder öffentlichen Foren ist das Thema dagegen kaum präsent. Das mediale Echo bleibt gering, was politische Aufmerksamkeit und Handlungsdruck schwächt.

Wie weiter? Handlungsspielräume und Modelle

Sondervermögen als Chance?

Auf Bundesebene wurde im April 2025 ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastrukturprojekte beschlossen. Bislang ist jedoch unklar, ob und in welchem Umfang Fähren von diesem Paket profitieren können. Die Mittelvergabe wird sich voraussichtlich auf Brücken, Schienen, Radwege und klimafreundliche Mobilität konzentrieren – Fähren könnten erneut durchs Raster fallen.

Neue Finanzierungsmodelle nötig

Langfristig braucht es verlässliche Modelle, um kleine, aber essenzielle Infrastrukturen wie Fähren zu sichern. Einige Ideen aus den Kommunen:

  • Regionale Zweckverbände, die mehrere Fähren zentral verwalten und finanzieren
  • Tourismusabgaben, bei denen Gäste indirekt zum Fährerhalt beitragen
  • Kombination mit Wassertourismusprojekten und EU-Naturschutzfonds

Doch bis dahin bleibt der Druck hoch – für viele Fähren geht es ums nackte Überleben.

Das stille Sterben der Überfahrten?

Die Fähren in Sachsen-Anhalt stehen exemplarisch für die Krise der Infrastruktur im ländlichen Raum. Sie sind klein, unscheinbar – aber unverzichtbar. Ihre Bedeutung steht in keinem Verhältnis zur Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwird. Ohne strukturelle Lösungen, finanzielle Sicherheit und politischen Willen droht das Aus vieler Linien. Für die betroffenen Regionen wäre das mehr als ein Mobilitätsverlust: Es wäre ein Symbol für den Rückzug des Staates aus der Fläche.

Kennst du das schon?  Nach Angriff auf Frau und Mann fordern Politiker von AfD und CDU harte Konsequenzen

Ob Sachsen-Anhalts Fähren noch eine Zukunft haben, entscheidet sich nicht allein an der Elbe – sondern im Landtag, im Bundeshaushalt und im Bewusstsein der Gesellschaft.

Weiteres aus der Rubrik
Über den Autor

Berichte und Artikel

Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.