Sachsen-Anhalt

Warum in Sachsen-Anhalt nur jede vierte Lehrkraft in Teilzeit arbeitet

Sachen-Anhalt Während bundesweit fast jede zweite Lehrkraft in Teilzeit arbeitet, ist die Quote in Sachsen-Anhalt außergewöhnlich niedrig. Nur rund 23 Prozent der Lehrkräfte unterrichten dort mit reduzierter Stundenzahl. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine Mischung aus politischen Entscheidungen, demografischen Besonderheiten und kontrovers diskutierten Maßnahmen.

Ein bundesweiter Höchststand trifft auf einen regionalen Tiefstwert

Deutschlandweit arbeiten im Schuljahr 2023/24 rund 43,1 Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Teilzeit. Bei den Lehrerinnen liegt der Anteil sogar bei 50,7 Prozent, bei den Lehrern bei 22,6 Prozent. Damit ist der Beruf deutlich stärker von Teilzeit geprägt als der Arbeitsmarkt insgesamt, wo die Quote bei 30,9 Prozent liegt.

In Sachsen-Anhalt sieht das Bild ganz anders aus: Lediglich 23,1 Prozent der Lehrkräfte arbeiten in Teilzeit – nur Thüringen liegt mit 23,0 Prozent noch niedriger. Im Ländervergleich sind die Spitzenwerte in Hamburg (55,0 %), Bremen (52,2 %) und Baden-Württemberg (50,1 %) zu finden. Diese deutlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern werfen Fragen auf: Warum ist die Teilzeitquote bei Lehrkräften in Sachsen-Anhalt so niedrig?

Fachleute und Gewerkschaften nennen mehrere Gründe: eine restriktivere Genehmigungspraxis, der Einfluss spezieller landespolitischer Maßnahmen sowie die Altersstruktur des Kollegiums.

Die Rolle der Altersstruktur – Ein Land der erfahrenen Lehrkräfte

Ein Blick in die Altersstatistik zeigt, dass Sachsen-Anhalt überdurchschnittlich viele ältere Lehrkräfte beschäftigt. Im Schuljahr 2022/23 waren 57,1 Prozent aller Lehrkräfte über 50 Jahre alt – bundesweit liegt dieser Wert bei rund 36 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil in der Altersgruppe 50 bis 59 Jahre, gefolgt von den über 60-Jährigen.

Diese demografische Situation wirkt sich auf Personalpolitik und Unterrichtsversorgung aus. Ältere Lehrkräfte neigen statistisch häufiger zu festen Arbeitszeitmodellen und sind weniger bereit, in Teilzeit zu wechseln, wenn sie bislang voll gearbeitet haben. Gleichzeitig rücken nur wenige junge Lehrkräfte nach – die Zahl der Studienanfänger im Lehramt ist rückläufig.

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Die Vorgriffsstunde – Mehr Arbeit für alle

Ein entscheidender Faktor für die niedrige Teilzeitquote ist die sogenannte Vorgriffsstunde. Seit dem 1. April 2023 sind in Sachsen-Anhalt alle Lehrkräfte – auch Teilzeitbeschäftigte – verpflichtet, eine zusätzliche Unterrichtsstunde pro Woche zu übernehmen. Diese Maßnahme soll die Unterrichtsversorgung sichern und gilt vorerst bis zum 31. Juli 2028.

Die Stunden können entweder vergütet oder bis zum Schuljahr 2033/34 als Zeitguthaben angespart werden. Befreit sind nur Lehrkräfte, die 62 Jahre oder älter sind. Gerichtlich wurde die Regelung bislang als „Arbeitszeitverschiebung“ und nicht als Erhöhung der regulären Arbeitszeit bestätigt, doch in sozialen Medien und Foren sorgt sie für anhaltende Diskussionen.

Viele Teilzeitkräfte empfinden diese Verpflichtung als zusätzlichen Druck. In Lehrer-Communities wird berichtet, dass sich einige Lehrkräfte deshalb gegen eine Teilzeitentscheidung entscheiden – ein Faktor, der die Quote niedrig halten könnte.

Zwischen Restriktion und Flexibilität

In älteren Diskussionsbeiträgen im Lehrerforum ist zu lesen, dass Teilzeit in Sachsen-Anhalt „in allen Abstufungen“ bewilligt werde – oft nach dem Motto „lieber Teilzeit als gar keine Lehrkraft“. Neuere Berichte, etwa auf Reddit, deuten jedoch darauf hin, dass Teilzeit ohne familiäre oder gesundheitliche Gründe inzwischen strenger geprüft wird.

Diese Entwicklung könnte auf den zunehmenden Lehrkräftemangel zurückzuführen sein. Wenn Schulen ohnehin Schwierigkeiten haben, alle Unterrichtsstunden abzudecken, sinkt die Bereitschaft, Arbeitszeitreduzierungen zu genehmigen, die nicht zwingend erforderlich sind.

Die Sicht der Lehrkräfte – Stimmen aus dem Netz

In sozialen Netzwerken äußern sich Lehrkräfte teils kritisch über die aktuelle Praxis. Bemängelt werden vor allem:

  • Die verpflichtende Vorgriffsstunde auch für Teilzeitkräfte
  • Verspätete Auszahlungen für die zusätzlichen Stunden, teils über ein Jahr hinaus
  • Hohe Präsenz- und Vertretungsanforderungen, die Teilzeit entwerten

Ein Lehrer kommentierte: „Wenn ich in Teilzeit gehe, aber jede Woche trotzdem zusätzliche Stunden leisten muss, ist das kein echter Entlastungseffekt.“

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Ost-West-Unterschiede und ihre Ursachen

Die Differenz zwischen den Teilzeitquoten in Ost- und Westdeutschland ist auffällig. Während im Osten (ohne Berlin) etwa 30 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit arbeiten, liegt der Wert im Westen bei rund 42 Prozent. Sachsen-Anhalt steht mit seinen gut 23 Prozent deutlich unter dem ostdeutschen Durchschnitt.

Historische Entwicklungen und unterschiedliche Personalpolitiken könnten eine Rolle spielen. Im Osten wurden nach der Wiedervereinigung oft jüngere Lehrkräfte abgebaut oder frühverrentet, wodurch heute ein älteres Kollegium mit festen Vollzeitverträgen dominiert. Im Westen hingegen ist Teilzeit seit Jahrzehnten verbreiteter und stärker etabliert.

Gründe für Teilzeit – und ihre Grenzen

Grundsätzlich entscheiden sich Lehrkräfte in Deutschland aus verschiedenen Motiven für Teilzeit:

  • Familiäre Verpflichtungen, etwa Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen
  • Gesundheitliche Gründe
  • Wunsch nach besserer Work-Life-Balance
  • Reduzierung von Arbeitsbelastung

In Befragungen geben viele Teilzeitkräfte an, dass sie unter bestimmten Bedingungen wieder aufstocken würden – etwa bei besserer organisatorischer Unterstützung oder Entlastung in Verwaltungs- und Zusatzaufgaben. In Sachsen-Anhalt wirkt jedoch die aktuelle Strukturpolitik mit Pflichtstunden und strikterer Genehmigungspraxis eher in die entgegengesetzte Richtung.

Teilzeit im Referendariat – keine Option in Sachsen-Anhalt

Eine weitere Besonderheit: In Sachsen-Anhalt ist ein Referendariat in Teilzeit nicht möglich. Während andere Bundesländer angehenden Lehrkräften flexible Modelle anbieten, setzt Sachsen-Anhalt in dieser Ausbildungsphase auf Vollzeitpräsenz. Das kann für Berufseinsteiger mit familiären Verpflichtungen ein Hindernis sein.

Die politische Perspektive

Die Landesregierung sieht die Vorgriffsstunde als pragmatische Maßnahme, um Unterrichtsausfall zu verringern. Neben dieser Maßnahme setzt das Land auf digitale Vertretungsstunden und eine Vier-Tage-Präsenzpflicht an Schulen. Ziel ist es, die Unterrichtsversorgung trotz Lehrkräftemangels zu sichern.

Kritiker argumentieren jedoch, dass solche Maßnahmen den Beruf unattraktiver machen und langfristig sogar zu mehr Abwanderung führen könnten. „Man kann nicht dauerhaft auf Kosten der Lehrkräfte Personalengpässe kompensieren“, heißt es in einem Kommentar einer Gewerkschaftsvertreterin.

Auswirkungen auf Unterrichtsversorgung und Schulalltag

Die niedrige Teilzeitquote kann kurzfristig helfen, die Zahl der verfügbaren Unterrichtsstunden hochzuhalten. Gleichzeitig könnte sie langfristig zu Problemen führen, wenn Arbeitsbelastung und Altersstruktur nicht im Gleichgewicht sind.

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Eine alternde Belegschaft bedeutet ein steigendes Risiko für krankheitsbedingte Ausfälle, die wiederum durch das fehlende Teilzeitpolster schwerer kompensiert werden können. Außerdem sinkt die Attraktivität des Berufs für Quereinsteiger oder Lehrkräfte aus anderen Bundesländern, wenn flexible Arbeitszeitmodelle fehlen.

Wie geht es weiter?

Ob Sachsen-Anhalt seinen Sonderweg beibehält, hängt von mehreren Faktoren ab: der Entwicklung des Lehrkräftemangels, den Ergebnissen laufender Gerichtsverfahren zur Vorgriffsstunde und den politischen Mehrheiten im Landtag. Einige Beobachter erwarten, dass bei weiter sinkenden Bewerberzahlen auch Sachsen-Anhalt flexiblere Teilzeitmodelle anbieten muss.

Bis dahin bleibt das Land ein Sonderfall im bundesweiten Vergleich – mit einer Teilzeitquote, die nur rund halb so hoch ist wie im Bundesschnitt und deutlich unter der seiner westdeutschen Kollegen liegt.

Sachsen-Anhalt steht mit seiner niedrigen Teilzeitquote vor einer doppelten Herausforderung: einerseits kurzfristig genug Unterrichtsstunden sicherzustellen, andererseits den Beruf für zukünftige Generationen von Lehrkräften attraktiv zu halten. Die Kombination aus hoher Altersstruktur, verpflichtender Mehrarbeit und eingeschränkter Flexibilität macht das Land zu einem interessanten, aber auch umstrittenen Sonderfall in der deutschen Bildungslandschaft. Ob dieser Kurs langfristig Bestand hat, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie gut es gelingt, die Balance zwischen Unterrichtsversorgung und Arbeitszufriedenheit der Lehrkräfte zu halten.

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Über den Autor

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Ich bin im Herzen des Harzes aufgewachsen; Diese mystische und sagenumwobene Region inspirierte mich schon früh. Heute schreibe ich aus Leidenschaft, wobei ich die Geschichten und Legenden meiner Heimat in meinen Werken aufleben lasse. Der Harz ist nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Muse.