
Wernigerode. Die Debatte um eine mögliche Wiedereinführung einer Gebühr für Arztbesuche sorgt bundesweit für kontroverse Diskussionen – und auch im Harz beziehen die Hausärztinnen und Hausärzte eindeutig Stellung. Während Arbeitgeberverbände eine sogenannte Kontaktgebühr fordern, warnen Mediziner, Sozialverbände und Patientenvertreter vor den Folgen für die Gesundheitsversorgung, gerade in ländlichen Regionen.
Hintergrund: Warum die Kontaktgebühr wieder diskutiert wird
Die Diskussion über eine zusätzliche finanzielle Belastung bei Arztbesuchen wird von Arbeitgeberverbänden vorangetrieben. Anlass sind die steigenden Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Nach aktuellen Zahlen weist die GKV für das erste Quartal 2025 ein Defizit von 4,5 Milliarden Euro aus. Experten sprechen sogar von einer Finanzierungslücke von rund 47 Milliarden Euro bis Jahresende. Gleichzeitig steigen die Ausgaben deutlich stärker (+6,8 %) als die Einnahmen (+3,7 %). Arbeitgeber befürchten daher langfristig weiter steigende Zusatzbeiträge, die 2025 im Schnitt bereits bei 2,5 Prozent liegen.
Der Vorschlag sieht eine sogenannte Kontaktgebühr vor, die bei jedem einzelnen Arzttermin fällig würde. Anders als die von 2004 bis 2012 erhobene Praxisgebühr, die 10 Euro pro Quartal kostete, würde diese neue Abgabe unmittelbar an jede Konsultation gekoppelt sein. Diskutiert werden Beträge von 10 bis 15 Euro pro Besuch. Ziel sei es, die Zahl vermeintlich unnötiger Arztkontakte zu reduzieren und gleichzeitig Einnahmen zu stabilisieren.
Reaktionen aus der Ärzteschaft: „Unsozial und undurchdacht“
Kaum war der Vorschlag öffentlich, meldeten sich Hausärztinnen und Hausärzte bundesweit zu Wort – und äußerten deutliche Kritik. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Vorsitzende des Hausärzteverbands, erklärte, eine solche Maßnahme sei „unsozial und undurchdacht“. Die Gefahr bestehe darin, dass Patientinnen und Patienten notwendige Arztbesuche verschieben oder ganz vermeiden könnten. Besonders chronisch Erkrankte und Menschen mit geringem Einkommen würden dadurch benachteiligt.
Hausärzte betonen, dass die eigentliche Herausforderung nicht in einer zu hohen Zahl an Konsultationen liege, sondern in einer unzureichenden Steuerung des Systems. Buhlinger-Göpfarth forderte ein Primärarztsystem, in dem Hausärzte eine noch stärkere Lotsenfunktion übernehmen, anstatt Patientinnen und Patienten durch finanzielle Hürden abzuschrecken.
Der Harz im Fokus: Versorgungslücken und lange Wege
Im Harz zeigt sich die Problematik noch deutlicher. Schon heute kämpfen viele Gemeinden mit einem eklatanten Hausärztemangel. In Landkreisen wie Goslar oder dem Südharz liegt der Altersdurchschnitt der Hausärzte hoch, zahlreiche Praxen stehen vor der Nachfolgefrage. Kommunen reagieren mit Prämien von bis zu 50.000 Euro pro Kassensitz, um junge Ärztinnen und Ärzte in die Region zu holen. Bis Ende 2025 sollen allein im Landkreis Goslar rund 600.000 Euro an Fördermitteln ausgezahlt werden.
Eine zusätzliche Kontaktgebühr könnte in dieser Situation zum Problem werden. Für Patientinnen und Patienten, die ohnehin oft weite Wege zu einem Arzt zurücklegen müssen, würde ein finanzielles Hindernis die Hemmschwelle weiter erhöhen. Die Gefahr: Krankheiten werden später erkannt und behandelt, was langfristig sogar höhere Kosten verursachen könnte.
Alte Erfahrungen: Was brachte die Praxisgebühr wirklich?
Viele fragen sich: Kommt die Praxisgebühr 2025 wirklich zurück? – Die Antwort ist eindeutig: Nein, zumindest nicht in ihrer alten Form. Der Vorschlag für eine Kontaktgebühr stammt allein von Arbeitgeberverbänden, die Bundesregierung hat bislang keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Dennoch lohnt sich ein Blick auf die Erfahrungen mit der früheren Praxisgebühr.
Studien liefern ein gemischtes Bild: Kurzfristig führten die 10 Euro pro Quartal zu mehr Überweisungen und einer gewissen Steuerungswirkung. Langfristig ließ sich jedoch kaum ein Effekt nachweisen. Weder nahm die Zahl der Arztbesuche nachhaltig ab, noch entlastete die Gebühr die Notaufnahmen. Kritiker sehen die Praxisgebühr daher als gescheiterten Versuch, das System zu steuern.
Vergleich im europäischen Kontext
Ein Blick über die Grenzen zeigt: Deutschland liegt mit durchschnittlich 9,6 Arztkontakten pro Kopf (2022) deutlich über dem OECD-Schnitt von rund 6. In Ländern wie Schweden sind kleine Zuzahlungen üblich, doch dort liegt die durchschnittliche Kontaktzahl wesentlich niedriger. Forennutzer weisen häufig darauf hin, dass solche Modelle nur dann funktionieren, wenn sie in ein umfassendes Steuerungssystem eingebettet sind – etwa durch klare Gatekeeping-Strukturen, in denen Hausärzte der erste Ansprechpartner sind.
Die häufigsten Fragen zur Kontaktgebühr
Was ist der Unterschied zwischen Praxisgebühr und Kontaktgebühr?
Während die Praxisgebühr nur einmal pro Quartal fällig wurde, würde die Kontaktgebühr jeden einzelnen Besuch betreffen. Damit wäre die finanzielle Belastung besonders für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder regelmäßigen Behandlungsterminen deutlich höher.
Welche Nachteile hätte eine Kontaktgebühr für Patienten?
Die größten Sorgen betreffen den Zugang zur Versorgung: Wer sparen will oder muss, könnte notwendige Arztbesuche vermeiden. Das kann zu verspäteten Diagnosen, schwereren Krankheitsverläufen und langfristig höheren Gesundheitskosten führen. Besonders in ländlichen Regionen wie dem Harz, wo die Versorgung ohnehin dünn ist, droht eine zusätzliche Belastung.
Warum fordern Arbeitgeberverbände eine Kontaktgebühr?
Arbeitgeber argumentieren mit der Kostenentwicklung. Die steigenden Ausgaben der GKV belasten sowohl Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmeranteile. Eine Kontaktgebühr soll aus ihrer Sicht „unnötige“ Arztbesuche verhindern und damit Kosten senken. Kritiker halten entgegen, dass der Nutzen in der Vergangenheit nicht nachweisbar war.
Gibt es Belege, dass die Praxisgebühr früher funktioniert hat?
Die wissenschaftlichen Bewertungen fallen ernüchternd aus. Zwar wurden in den ersten Jahren mehr Überweisungen ausgestellt, doch eine dauerhafte Reduzierung der Arztkontakte fand nicht statt. Notaufnahmen blieben trotz Gebühr überlastet. Das zeigt, dass der Lenkungseffekt eher gering war.
Welche Alternativen zur Kontaktgebühr werden diskutiert?
Statt einer pauschalen Gebühr bringen Ärzteverbände und Experten andere Modelle ins Gespräch:
- Primärarztsystem: Hausärzte übernehmen eine verbindliche Steuerungsfunktion.
- No-Show-Gebühren: Strafzahlungen bei unentschuldigten Terminversäumnissen, teilweise bis zu 100 Euro.
- Moderate Zuzahlungen: Nach skandinavischem Vorbild, angepasst an Einkommen und Krankheitsbild.
Vor allem die Idee von Strafgebühren bei nicht wahrgenommenen Terminen wird in Foren und Fachportalen lebhaft diskutiert. Kritiker verweisen jedoch auf rechtliche Hürden und die Notwendigkeit, den tatsächlichen Ausfall nachzuweisen.
Stimmen aus der Bevölkerung: Zwischen Wut und Sorge
Auf sozialen Medien hat die Debatte bereits für hitzige Diskussionen gesorgt. Auf Instagram und Facebook kursieren vereinfachende Schlagzeilen wie „20 Euro pro Besuch sicher“, die eine baldige Einführung suggerieren. Diese Zuspitzungen tragen zur Verunsicherung bei. In Foren wie Reddit wird intensiver über Alternativen gesprochen: Viele Nutzer befürworten gezielte Maßnahmen wie No-Show-Gebühren, andere fordern eine Rückkehr zur Überweisungspflicht, um die Zahl der Facharztbesuche einzudämmen.
Ein häufig geäußerter Punkt lautet: „Warum sollen wir alle zahlen, wenn es nur um wenige Mehrfachgänger geht?“ Damit wird deutlich, dass viele Bürger die Debatte nicht als Frage der Kostensteuerung, sondern als soziale Gerechtigkeitsfrage sehen.
Rechtliche Aspekte: Ausfallhonorar und Patientenrechte
Interessant ist auch die juristische Perspektive: Schon heute können Ärztinnen und Ärzte unter bestimmten Bedingungen Ausfallhonorare verlangen, wenn Patientinnen und Patienten nicht erscheinen. Verbraucherzentralen und Anwaltskanzleien weisen jedoch darauf hin, dass klare Aufklärungspflichten bestehen und der tatsächliche Ausfall nachgewiesen werden muss. Ohne solche Voraussetzungen sind pauschale No-Show-Gebühren rechtlich nicht durchsetzbar. Auch dies zeigt, wie komplex die Frage von Steuerung über finanzielle Mittel ist.
Die politische Dimension: Kommt die Gebühr wirklich?
Trotz der hitzigen Diskussionen ist eines klar: Eine gesetzliche Einführung der Kontaktgebühr steht nicht unmittelbar bevor. Bisher handelt es sich ausschließlich um eine Forderung von Arbeitgeberverbänden. Weder Gesundheitsministerium noch Regierungsparteien haben konkrete Pläne vorgelegt. Beobachter gehen daher davon aus, dass die Debatte vorerst Teil einer größeren Diskussion über die Finanzierung der GKV bleiben wird.
Die Auseinandersetzung um eine Kontaktgebühr für Arztbesuche zeigt, wie schwierig es ist, ein solidarisches Gesundheitssystem finanziell nachhaltig und zugleich sozial verträglich zu gestalten. Auf der einen Seite stehen die massiven Finanzprobleme der Krankenkassen und der Wunsch nach Steuerung, auf der anderen Seite die Sorge vor sozialer Ungerechtigkeit und medizinischen Risiken. Für den Harz, wo die Versorgungslage ohnehin angespannt ist, erscheint die Idee einer zusätzlichen Belastung besonders kontraproduktiv. Ob die Kontaktgebühr jemals Realität wird, bleibt fraglich. Sicher ist jedoch: Die Diskussion über faire, nachhaltige und wirksame Lösungen im Gesundheitswesen wird uns noch lange begleiten.