
Quedlinburg, 11. November 2025 – Auf der historischen Rathaustreppe in Quedlinburg fällt das Licht der untergehenden Sonne auf bunte Kostüme, Funkenmariechen und jubelnde Kinder. Kurz nach 17 Uhr ertönt Musik, die Menge lacht, als ein Regen aus Bonbons über die Zuschauer fällt. Dann überreicht Oberbürgermeister Frank Ruch symbolisch den goldenen Schlüssel der Stadt – die Narren haben das Zepter übernommen, und die fünfte Jahreszeit ist eröffnet.
Mit dem traditionellen Startschuss um 17:11 Uhr hat der Quedlinburger Carneval Verein (QCV) seine 36. Session eröffnet. Unter dem diesjährigen Motto „90er Jahre verrückt und bunt – beim QCV geht’s wieder rund“ verwandelt sich die Welterbestadt für einige Wochen in ein Zentrum ausgelassener Feierfreude. Die symbolische Schlüsselübergabe an das neue Prinzenpaar – Annett I. (Mathilde vom Stift) und Eike I. (Roland der Stadt) – gilt als offizieller Beginn der Narrenzeit. Der feierliche Akt, begleitet von Tanzgruppen und Musik, markiert den Auftakt zu einer Reihe von Veranstaltungen, die bis Februar 2026 andauern.
Ein buntes Programm für Groß und Klein
Der Quedlinburger Carneval Verein setzt in dieser Saison erneut auf ein familienfreundliches Konzept. Schon die Eröffnung am Rathaus ist öffentlich zugänglich und zieht jedes Jahr Hunderte Besucherinnen und Besucher an. Besonders für Kinder ist der Bonbonregen ein Höhepunkt. Später folgen Veranstaltungen wie der Kinderfasching am 8. Februar 2026, die große Prunksitzung am 14. Februar und der Faschingsumzug am 15. Februar 2026. Damit führt der Verein eine lange Tradition fort, die seit über drei Jahrzehnten gepflegt wird.
Eine häufige Frage, die im Zusammenhang mit dem Quedlinburger Karneval gestellt wird, lautet: „Braucht man Eintrittskarten für die Schlüsselübergabe?“ – Nein, der Auftakt ist frei zugänglich. Nur für einzelne Veranstaltungen wie die Prunksitzung oder den Kinderfasching werden Tickets verkauft. Diese klare Trennung soll sicherstellen, dass der Karneval für die ganze Stadt erlebbar bleibt.
Ein Verein mit Geschichte und Herz
Der QCV, gegründet im Jahr 1989 von 42 Mitgliedern, ist tief in der Stadt verankert. Das Vereinsmotto „…mit na awer und helau“ ist längst zu einem Teil der lokalen Identität geworden. Auf seiner offiziellen Seite betont der Verein die Bedeutung des Zusammenhalts und der Freude an der Brauchtumspflege. Neben dem karnevalistischen Programm engagiert sich der QCV auch in sozialen und ökologischen Aktionen. So beteiligte sich der Verein in diesem Jahr an der Baumpflanzchallenge 2025, bei der Vereine im Harz junge Bäume pflanzen, um Nachhaltigkeit und Gemeinschaft zu fördern.
Die Aktivitäten zeigen, dass der Karneval in Quedlinburg mehr ist als nur ein Umzug oder eine Feier – er ist Ausdruck lokaler Verantwortung und Identität. Auch wenn der Verein auf Facebook nur rund 674 Follower zählt, ist seine Präsenz in der Region deutlich spürbar: Er steht für bürgerschaftliches Engagement und Tradition gleichermaßen.
Karneval als regionaler Wirtschaftsfaktor
Karneval ist längst kein reines Brauchtumsereignis mehr. Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigen, dass Karneval bundesweit eine Wirtschaftskraft von rund 2,1 Milliarden Euro entfaltet. Besonders profitieren Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus. Auch im Harz werden Hotels, Pensionen und Restaurants zur Session deutlich stärker frequentiert. Selbst wenn Quedlinburg keine Karnevalshochburg wie Köln ist, trägt der lokale Fasching zur Belebung der Innenstadt bei – durch Besucher, Musikgruppen, Caterer und Handwerksbetriebe.
Ein Blick nach Köln verdeutlicht, wie groß der Effekt sein kann: Dort werden laut einer aktuellen Studie jährlich rund 850 Millionen Euro umgesetzt, über 6.500 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an der fünften Jahreszeit. Für Quedlinburg bedeutet das: Auch kleinere Städte profitieren, wenn Tradition, Kultur und Tourismus in einer Veranstaltung zusammenfließen.
Typische Rituale und regionale Eigenheiten
Während viele Städte den Karneval traditionell um 11:11 Uhr eröffnen, hat Quedlinburg seine eigene Variante – 17:11 Uhr. Der Grund ist pragmatisch: So können auch Berufstätige teilnehmen. Die Eröffnung findet auf dem Marktplatz statt, begleitet von Funkenmariechen, Tanzgarden und Musikgruppen. Dazu regnet es Bonbons, Konfetti und Luftschlangen – ein Spektakel, das nicht nur Kinder begeistert.
Radio SAW beschreibt das Ritual als „Sturm auf das Rathaus“, ein Symbol dafür, dass die Narren bis Aschermittwoch die Kontrolle über die Stadt übernehmen. Es ist ein Moment zwischen Tradition und augenzwinkernder Rebellion – jedes Jahr aufs Neue zelebriert.
Der Blick nach vorn: Gemeinschaft als gelebte Tradition
Die fünfte Jahreszeit in Quedlinburg steht nicht nur für Frohsinn, sondern auch für ein gelebtes Miteinander. Der QCV verbindet Generationen, bringt Menschen auf den Straßen zusammen und lässt die Altstadt zur Bühne werden. Mit der Kombination aus Tradition, Nachhaltigkeit und regionalem Stolz beweist der Verein, dass Karneval im Harz längst mehr ist als nur ein ausgelassenes Fest.
Während der Schlüssel der Stadt bis Aschermittwoch in den Händen der Narren bleibt, zeigt sich Quedlinburg von seiner farbenfrohsten Seite – laut, herzlich und ein wenig verrückt. Und wenn am Abend die letzten Bonbons vom Pflaster aufgesammelt sind, hallt noch lange das Echo eines Rufs nach: „Mit na awer und helau!“







