
(Symbolbild)
Quedlinburg – Entlang der A36, zwischen der Anschlussstelle Quedlinburg-Ost und dem Ortsteil Morgenrot, plant die Stadt ein groß angelegtes Industrie- und Energieprojekt. Es soll Gewerbeflächen, erneuerbare Energieerzeugung und moderne Wärmenutzung kombinieren. Während Befürworter von einer historischen Chance sprechen, sehen Kritiker den Verlust wertvoller Ackerflächen und Veränderungen im Landschaftsbild.
Ein Projekt mit drei Säulen
Das „Zukunftsprojekt Morgenrot“ basiert auf einem Dreiklang: der Schaffung eines modernen Industrieparks, dem Bau eines regenerativen Energieparks aus Wind- und Photovoltaikanlagen sowie der Nutzung industrieller Abwärme für ein kommunales Wärmenetz. Ziel ist es, Quedlinburg als Wirtschaftsstandort zu stärken, energieautark zu machen und gleichzeitig zusätzliche Einnahmen für den städtischen Haushalt zu generieren. Nach Angaben der Stadt könnte das Vorhaben jährlich mehr als eine Million Euro in die Kassen spülen.
Geografisch ist das Gebiet klar umrissen: Der geplante Korridor verläuft parallel zur A36 zwischen der Anschlussstelle Quedlinburg-Ost und dem Ortsteil Morgenrot. Heute handelt es sich dabei überwiegend um landwirtschaftlich genutzte Flächen mit hoher Bodengüte.
Formale Schritte und aktueller Stand
Die Umsetzung eines solchen Projekts erfordert umfangreiche planungsrechtliche Verfahren. Konkret sieht der Ablauf Folgendes vor:
- Änderung des Flächennutzungsplans (29. Änderung FNP), um die bisherige landwirtschaftliche Nutzung in eine gewerbliche umzuwandeln.
- Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 74 „Zukunftsprojekt Morgenrot“ – der Vorentwurf wurde bereits im Juni 2025 öffentlich ausgelegt.
- Einholung einer Stellungnahme und Anpassung an die Vorgaben der Regionalen Planungsgemeinschaft Harz (RPG Harz), die für regionale Entwicklungsziele zuständig ist.
Die erste Beratung fand am 6. Februar 2025 in einer gemeinsamen Ausschusssitzung statt. Am 27. Februar 2025 folgte die Debatte im Stadtrat, die bereits zeigte, dass das Thema die politische Landschaft spaltet. Mit der öffentlichen Auslegung begann im Frühjahr 2025 die Beteiligung von Bürgern und Verbänden. Die nächste Entscheidungsebene ist die Abstimmung mit der RPG Harz.
Die Dimension des Vorhabens
Die Fläche umfasst rund 36 Hektar. Das entspricht etwa 50 Fußballfeldern und verdeutlicht, dass es sich um einen der größten Flächeneingriffe in Quedlinburgs jüngerer Geschichte handelt. Im regionalen Vergleich reiht sich das Projekt ein in eine Serie neuer Gewerbeflächenentwicklungen in Harz-Städten wie Wernigerode – ein Zeichen dafür, dass der wirtschaftliche Flächendruck steigt.
Welche Chancen bietet das Projekt für die Stadt Quedlinburg?
Befürworter verweisen auf mehrere Vorteile: die langfristige Sicherung von Gewerbeflächen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, eine energetisch nachhaltige Versorgung der ansässigen Betriebe und erhebliche kommunale Einnahmen. „Das ist eine historische Chance für Quedlinburg“, betonen Stimmen aus Politik und Wirtschaft. Die geplante Verbindung von Industrie und grüner Energie könnte ein Alleinstellungsmerkmal in der Region schaffen.
Das Energiekonzept als Schlüssel
Eine Besonderheit ist der integrierte Energiepark, der sowohl Photovoltaik- als auch Windkraftanlagen umfassen soll. Die Stromerzeugung soll nicht nur die Unternehmen vor Ort versorgen, sondern auch einen Beitrag zur allgemeinen Energieversorgung leisten. Überschüssige Wärme aus industriellen Prozessen könnte in ein kommunales Wärmenetz eingespeist werden, was langfristig Haushalten und öffentlichen Einrichtungen zugutekäme.
Gibt es Alternativen zur Nutzung von Ackerflächen?
Kritiker mahnen, dass wertvolles Ackerland möglichst nicht bebaut werden sollte. Studien empfehlen stattdessen den verstärkten Einsatz von Dachflächen für Solaranlagen oder die Nutzung von Konversionsflächen, die bisher brachliegen. Eine weitere Option wäre die sogenannte Agri-PV, bei der landwirtschaftliche Nutzung und Stromerzeugung kombiniert werden. Diese Ansätze könnten Nutzungskonflikte entschärfen.
Kritikpunkte und Bedenken
Zu den größten Kritikpunkten gehört der Verlust hochwertiger Böden. Die Region lebt auch von ihrer Landwirtschaft, und jeder Hektar, der aus der Produktion genommen wird, ist für Landwirte ein schmerzlicher Verlust. Hinzu kommen Sorgen um das Landschaftsbild, besonders in Hinblick auf den UNESCO-Welterbe-Status der Stadt, der hohe Anforderungen an die Wahrung von Sichtachsen und Ortsbild stellt.
In sozialen Medien und lokalen Diskussionsforen zeigt sich eine klare Zweiteilung der Meinungen: Während städtische Kanäle und Befürworter das Projekt als Schritt in Richtung wirtschaftlicher Modernisierung feiern, warnen Bürgerinitiativen vor irreversiblen Eingriffen in die Kulturlandschaft. Das Bürgerforum Quedlinburg etwa begleitet den Prozess kritisch und dokumentiert alle relevanten Sitzungen und Planungsstände.
Wie groß ist die Fläche des geplanten Industrie- und Energieparks?
Die geplanten rund 36 Hektar liegen komplett im heutigen Ackerlandbereich zwischen A36 und Morgenrot. Das verdeutlicht den direkten Konflikt zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und wirtschaftlicher Neuerschließung.
Regionale Planungsziele und Einbettung
Das Projekt ist kein isoliertes Vorhaben, sondern Teil einer größeren regionalen Entwicklungsstrategie. Die Regionale Planungsgemeinschaft Harz hat im April 2024 ein Industrie- und Gewerbeflächenkonzept verabschiedet, das die Notwendigkeit zusätzlicher Flächen belegt. Quedlinburg soll dabei eine Schlüsselrolle spielen, nicht zuletzt wegen seiner verkehrsgünstigen Lage und Anbindung an die A36. In diesem Kontext wird auch ein geplanter Autohof an der Anschlussstelle Quedlinburg-Ost als möglicher Synergieeffekt gesehen.
Infrastruktur und Standortvorteile
Die Nähe zur A36 bietet nicht nur logistische Vorteile für Unternehmen, sondern könnte auch die Attraktivität für Investoren steigern. Ergänzend könnten neue Infrastrukturen wie der erwähnte Autohof zusätzliche Frequenz und Dienstleistungen für das Gewerbegebiet schaffen. Gleichzeitig wird die Lage am Rand der Stadt als Vorteil gesehen, um Wohngebiete nicht direkt mit Gewerbelärm zu belasten.
Welche Planungsschritte sind vorgesehen?
Nach der öffentlichen Auslegung folgen die Abwägung der eingegangenen Stellungnahmen, mögliche Anpassungen der Planungsunterlagen, der Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan und schließlich die Genehmigung der Flächennutzungsplanänderung. Erst danach können konkrete Bauvorhaben umgesetzt werden.
Erfahrungen aus anderen Regionen
Vergleichbare Projekte in Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern zeigen, dass eine enge Verzahnung von Industrieansiedlung und erneuerbarer Energieerzeugung Vorteile bringen kann. Gleichzeitig verdeutlichen sie die Bedeutung einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung, um Akzeptanz zu schaffen und Konflikte zu minimieren. Transparente Kommunikation und Kompensationsmaßnahmen, wie die Schaffung von Ausgleichsflächen, werden dabei als entscheidend angesehen.
Ökologische und wirtschaftliche Abwägung
Der Eingriff in die Landschaft ist unbestritten, die Frage ist, ob der wirtschaftliche Nutzen und die langfristige strategische Entwicklung der Stadt diesen Eingriff rechtfertigen. Hier prallen unterschiedliche Werte aufeinander: der Schutz von Natur und landwirtschaftlicher Produktivität auf der einen, wirtschaftliche Entwicklung und Energieautarkie auf der anderen Seite.
Welche Kritikpunkte gibt es an der Nutzung von Ackerland?
Landwirtschaftliche Verbände und Umweltgruppen warnen vor einer Zunahme des Flächenverbrauchs und dem Verlust regionaler Nahrungsmittelproduktion. Auch wird befürchtet, dass solche Projekte zu einer Fragmentierung der Landschaft führen, die Lebensräume für Tiere einschränkt.
Die Rolle der Bürgerbeteiligung
Die öffentliche Auslegung des Bebauungsplans hat bereits zahlreiche Reaktionen hervorgerufen. Von formellen Stellungnahmen über offene Briefe bis hin zu Diskussionen in sozialen Netzwerken reicht das Spektrum. Hier zeigt sich, wie wichtig die formalen Beteiligungsschritte im Planungsverfahren sind – sie geben der Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Stimme einzubringen.
In welchem Verhältnis steht das Projekt zu regionalen Planungszielen?
Die strategische Einbettung in das regionale Gewerbeflächenkonzept sorgt dafür, dass das Projekt in Einklang mit übergeordneten Entwicklungszielen steht. Damit werden nicht nur lokale Interessen, sondern auch wirtschaftliche und infrastrukturelle Prioritäten der gesamten Harzregion berücksichtigt.
Ob das „Zukunftsprojekt Morgenrot“ letztlich als Meilenstein der Stadtentwicklung oder als umstrittenes Beispiel für den Flächenverbrauch in Erinnerung bleiben wird, hängt von vielen Faktoren ab: von der Ausgestaltung der Pläne, der Einbindung der Bevölkerung, der Berücksichtigung ökologischer Belange und der Fähigkeit, langfristig wirtschaftliche Impulse zu setzen. Klar ist schon jetzt: Das Vorhaben wird Quedlinburgs politische und gesellschaftliche Diskussionen auch in den kommenden Jahren prägen – und könnte beispielhaft für den Umgang mit den Herausforderungen zwischen wirtschaftlichem Fortschritt und Flächenschutz in Deutschland stehen.