
Wernigerode. Die Harzer Schmalspurbahnen (HSB) gelten als eine der größten touristischen Attraktionen im Harz. Doch hinter den Dampfwolken und nostalgischen Lokomotiven steckt eine ernste Realität: Ohne neue finanzielle Unterstützung durch die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen steht die Zukunft des traditionsreichen Bahnunternehmens auf der Kippe. Experten sprechen bereits von einer „Frage der Existenz“.
Ein unverzichtbares Stück Harz
Die Harzer Schmalspurbahnen sind mehr als nur eine nostalgische Attraktion. Mit über 140 Kilometern Streckennetz betreiben sie das längste zusammenhängende meterspurige Schmalspurnetz in Deutschland. Drei Hauptlinien prägen den Betrieb: die Harzquerbahn, die Selketalbahn und die weltberühmte Brockenbahn, die täglich Touristen und Einheimische gleichermaßen anzieht. Vor allem die Fahrt zum Brocken, dem höchsten Gipfel im Harz, gilt als ein Highlight jeder Reise in die Region.
Rund 1,14 Millionen Fahrgäste nutzten im Jahr 2024 die Angebote der HSB. Diese Zahl bedeutet einen Zuwachs von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr und brachte einen Umsatzrekord von rund 15,5 Millionen Euro. Trotz dieses Erfolges bleibt die finanzielle Lage kritisch.
Finanzielle Schieflage trotz voller Züge
Während die Nachfrage nach Fahrten im Harz ungebrochen hoch ist, steigen die Betriebskosten rapide an. Zwischen 2023 und 2024 kletterten die Ausgaben aufgrund von Energie-, Material- und Personalkosten um fast 300 Prozent. Das Defizit belief sich im Jahr 2023 bereits auf 2,4 Millionen Euro, 2024 verdoppelte sich dieses Loch auf etwa 5,6 Millionen Euro. Die Einnahmen durch Fahrgäste allein reichen längst nicht mehr aus, um die steigenden Kosten zu decken.
Der Aufsichtsratschef Thomas Balcerowski brachte die Situation klar auf den Punkt: „Ohne Mittel von den Ländern steht die Existenz der HSB möglicherweise infrage.“ Dieser Satz hat im Harz hohe Wellen geschlagen, denn er macht deutlich, wie sehr die Zukunft der Bahn von Zuschüssen abhängt.
Unterstützung durch die Länder – reicht das?
Sachsen-Anhalt hat in den vergangenen Jahren bereits Mittel bereitgestellt: Rund 15 Millionen Euro für Verkehrsverträge und Infrastrukturkosten flossen an die HSB. Zusätzlich wurden für 2024 und 2025 weitere acht Millionen Euro zugesagt. Doch Experten warnen: Angesichts des immensen Investitionsbedarfs von einem dreistelligen Millionenbetrag sind diese Summen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein umfassender Sanierungsplan wird bis Herbst erwartet.
Die Kernfrage lautet: Werden die Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen bereit sein, dauerhaft eine stabile Finanzierung sicherzustellen? Ohne diese Unterstützung droht nicht nur der Abbau von Strecken, sondern schlimmstenfalls eine Stilllegung ganzer Abschnitte.
Sanierungsbedarf und technische Herausforderungen
Der Harz stellt mit seiner Topographie besondere Anforderungen an das Schmalspurnetz. Besonders die Gleisanlagen müssen in regelmäßigen Abständen erneuert werden. Diskutiert wird der Einsatz spezieller Y-Stahlschwellen, die in engen Radien des Harzes notwendig sind, um das „Wandern“ der Schienen zu verhindern. Solche technischen Speziallösungen machen die Instandhaltung deutlich teurer als im herkömmlichen Eisenbahnnetz.
Zudem spielt die Energieversorgung eine Rolle. Viele Loks fahren traditionell mit Kohle und Öl, doch steigende Preise und die Diskussion um die Energiewende stellen den Dampfbetrieb vor neue Probleme. In Foren wird dies bereits als „gewaltige Umstellung“ für die kommenden Jahre bezeichnet.
Die Werkstatt in Wernigerode – ein modernes Herzstück
Ein Hoffnungsschimmer für den Betrieb ist die neue Dampflokwerkstatt in Wernigerode. Sie wurde 2022 eröffnet, umfasst rund 2.500 Quadratmeter und hat 15 Millionen Euro gekostet. Besucher können von einer Galerie aus einen Blick auf die Arbeit an den Lokomotiven werfen. Seit Sommer 2024 sind auch die Außenanlagen fertiggestellt. Diese Investition zeigt, wie sehr die HSB auf Modernisierung setzen, doch gleichzeitig verdeutlicht sie den hohen Kapitalbedarf, der ohne Zuschüsse kaum zu stemmen ist.
Die Bedeutung für Tourismus und Region
Kaum ein Tourist verlässt den Harz, ohne eine Fahrt auf den Brocken oder durch das Selketal unternommen zu haben. Die Züge prägen das Image der Region. Gastronomie, Hotels und Einzelhandel profitieren in hohem Maße von den Besuchern, die wegen der HSB in den Harz kommen. Würde die Bahn in ihrem Umfang eingeschränkt, hätte das direkte Auswirkungen auf die gesamte regionale Wirtschaft.
Fragen der Fahrgäste im Überblick
- Was kostet eine Fahrt mit der Harzer Schmalspurbahn zum Brocken?
Erwachsene zahlen 38 Euro für eine einfache Fahrt, 57 Euro für Hin- und Rückfahrt. Kinder zwischen 6 und 14 Jahren zahlen 23 Euro einfach bzw. 34 Euro für die Hin- und Rückfahrt. - Warum ist der Preis zur Brockenfahrt von jeder Station aus gleich?
Um Gäste zu motivieren, an verschiedenen Stationen zuzusteigen und den Individualverkehr im Harz zu reduzieren, gilt ein einheitlicher Sondertarif. - Wie viele Dampflokomotiven hat die Harzer Schmalspurbahn?
Die HSB verfügt über insgesamt 31 Lokomotiven, davon sind etwa 15 betriebsfähig. - Gilt das Deutschlandticket auf der Harzer Schmalspurbahn?
Ja, allerdings nur auf den regulären Strecken. Auf der Brockenstrecke von Drei Annen Hohne zum Gipfel gilt es nicht.
Neue Ideen: Netzverlängerung nach Braunlage
Eine Machbarkeitsstudie untersucht derzeit, ob eine Anbindung von Braunlage an das Netz der HSB möglich wäre. Diese Erweiterung könnte die touristische Bedeutung weiter steigern und neue Synergien im Harz schaffen. Allerdings ist klar: Die Umsetzung wäre teuer und technisch anspruchsvoll. Gerade deshalb ist die aktuelle Diskussion um die Finanzierung so wichtig – ohne stabile Basis ist an eine Erweiterung nicht zu denken.
Deutschlandticket und seine Folgen
Ein immer wieder diskutiertes Thema ist die Gültigkeit des Deutschlandtickets. Zwar gilt es auf großen Teilen des Netzes, aber nicht auf der beliebten Brockenstrecke. Für viele Gäste sorgt das für Verwirrung. Gleichzeitig stellt es das Unternehmen vor die Herausforderung, einerseits als touristische Attraktion mit Sondertarifen zu bestehen und andererseits als Teil des öffentlichen Nahverkehrs im Harz anerkannt zu bleiben. Die Mischfinanzierung zwischen Tourismus und ÖPNV ist kompliziert und erhöht den Druck auf die HSB.
Das Risiko ohne Förderung
Sollten die Länder ihre Unterstützung nicht massiv ausbauen, droht im schlimmsten Fall die Stilllegung einzelner Strecken „aus Sicherheitsgründen“. Bereits jetzt ist klar: Die Sanierung des Netzes wird sich über Jahre hinziehen. Der Harz könnte dadurch sein bekanntestes Aushängeschild verlieren. Für viele Einwohner wäre dies nicht nur ein wirtschaftlicher Verlust, sondern auch ein Stück Heimatgeschichte, das verschwinden würde.
Ein Blick nach vorn
Die Diskussion über die Zukunft der Harzer Schmalspurbahnen ist damit nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine emotionale. Dampfwolken über dem Harz sind ein Bild, das Generationen geprägt hat. Ob dieses Bild bestehen bleibt, hängt in den kommenden Monaten von politischen Entscheidungen ab. Klar ist: Der Investitionsbedarf ist enorm, die Belastungen durch Energiepreise und Inflation sind real, und die touristische Bedeutung der Bahn ist unbestreitbar.
Die Harzer Schmalspurbahnen stehen an einem Scheideweg. Auf der einen Seite stehen steigende Fahrgastzahlen, wirtschaftlicher Nutzen für den gesamten Harz und ein weltbekanntes touristisches Highlight. Auf der anderen Seite lasten ein massiver Sanierungsbedarf, explodierende Kosten und die Frage der Finanzierung schwer auf den Schultern der Betreiber. Der Harz braucht eine Entscheidung: Wollen Bund und Länder die historische Bahn als Kulturerbe und Motor für die Region erhalten oder wird sie Schritt für Schritt wegsparen? Die kommenden Jahre werden darüber entscheiden, ob die Dampfwolken über den Harz-Bergen weiterhin ein vertrauter Anblick bleiben – oder ob sie eines Tages nur noch in alten Fotos und Erinnerungen existieren.